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Hinschauen statt wegschauen

ÖKT diskutiert brisante Themen

Screenshot mit Luisa Neubauer und Angela Merkel während einer Diskussion per Videokonferenz

Klimaaktivistin Luisa Neubauer warf der Bundesregierung vor, über Jahrzehnte hinweg den Klimaschutz blockiert und damit die Klimakrise vorangetrieben zu haben.

Es gehört zur guten Tradition, dass auf einem Kirchentag auch aktuelle politische Themen diskutiert werden. Einerseits stellt sich die politische Prominenz unbequemen Fragen, andererseits ringt Kirche um eigene Positionen. Auch der vorwiegend digital durchgeführte 3. Ökumenische Kirchentag befasste sich mit brisanten Themen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kam in seiner Rede bei der Festveranstaltung auch auf die schwierige Lage der Kirchen zu sprechen, die nicht nur durch die Folgen der Pandemie bedingt sei. „Wir müssen uns kritisch fragen, wo die Kirchen selbst zum Prozess der Entfremdung beitragen. Zuvorderst nenne ich da die quälend langsame Aufdeckung und Aufarbeitung abscheulicher Verbrechen an den Schwächsten unter uns, an Kindern und Jugendlichen.“ Die Verbrechen seien in den Kirchen lange Zeit verschwiegen worden.

Aufarbeitung sexualisierter Gewalt stockt

Die Pädagogin und Religionswissenschaftlerin Katharina Krach warf der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt Machtmissbrauch vor. Die einseitige Auflösung des Betroffenenbeirats der EKD am vergangenen Montag sei „absolut fatal”, sagte Kracht, die selbst Missbrauch in der Kirche erlebt hat, bei einer weiteren Veranstaltung.

Die EKD hatte am Montagabend das vorläufige Aus des Betroffenenbeirats bekanntgegeben. Die Konzeption sei gescheitert, hieß es. Grund sind demnach erfolgte Rücktritte aus dem Gremium, interne Konflikte und Dissens zwischen dem Betroffenenbeirat und dem Gegenüber auf EKD-Seite, dem Beauftragtenrat, über das weitere Vorgehen.

Kracht, die selbst Mitglied im Betroffenenbeirat gewesen ist, wies die Darstellung der EKD zurück. Die EKD habe das Gremium einseitig aufgelöst - gegen das Votum der Mehrheit der im Betroffenenbeirat verbliebenen Mitglieder.

Die EKD will im Herbst über die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Betroffenen sexualisierter Gewalt beraten. Nach dem vorläufigen Scheitern des Betroffenenbeirats solle im Herbst mit den sieben bis zuletzt im Gremium verbliebenen Mitgliedern besprochen werden, wie es weitergehe, sagte der Sprecher des EKD-Beauftragtenrats, der Braunschweiger Landesbischof Christoph Meyns.

Der Trierer katholische Bischof Stephan Ackermann sprach von einer „hoch anspruchsvollen Aufgabe” in Bezug auf die Arbeit in kirchlichen Betroffenenbeiräten. Ackermann ist Missbrauchs-Beauftragter für die katholische Deutsche Bischofskonferenz. In diesen Gremien träfen Menschen mit unterschiedlichen Geschichten, Verletzungen und Kirchenerfahrungen aufeinander, die zu einer gemeinsamen Linie finden müssten. Dazu brauche es eine große Empfindsamkeit auch seitens der Kirchenvertreter, externe Moderation und Supervision.

Die Münchner Autorin Petra Morsbach, die sich mit Machtmissbrauch beschäftigt hat, sprach den Betroffenen in der Diskussion mit Meyns und Ackermann Mut zu, „nicht lockerzulassen”. Sie seien oft nicht so machtlos, wie sie sich fühlten.

Gemeinsam gegen Antisemitismus

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Gewalt in Nahost und den damit verbundenen antisemitischen Aktionen in Deutschland und der Bedrohungen jüdischer Mitbürger*innen erklären ÖKT-Präsidentin Bettina Limperg und ÖKT-Präsident Thomas Sternberg gemeinsam: „Die Bilder, die uns seit einigen Tagen aus Israel und Palästina erreichen, sind erschreckend und wecken schmerzhafte Erinnerungen an die vielen blutigen Ereignisse eines scheinbar nie enden wollenden Konfliktes. Wir hoffen auf Frieden im Heiligen Land, das diesen so dringend nötig hat. Versöhnung ist ein langer Prozess, aber er beginnt immer mit dem Schweigen der Waffen auf beiden Seiten.” Beide betonten, dass es eine ökumenische Aufgabe sei, „unsere jüdischen Geschwister im Kampf gegen den Antisemitismus zu unterstützen.”

Keine Einigung beim gemeinsamen Abendmahl

Auf einem Live-Podium zum Schwerpunkt Ökumene haben Theologen dazu aufgerufen, in den Anstrengungen hin zu einem gemeinsamen Abendmahl nicht nachzulassen. «Wir müssen dieses Leiden daran, dass wir nicht gemeinsam am Tisch des Herrn feiern können, wachhalten», sagte die baptistische Theologin und Kirchenhistorikerin Andrea Strübind (Oldenburg). An der Diskussion nahmen Theologen aus der evangelischen und freikirchlichen, orthodoxen sowie römisch-katholischen Tradition teil.

Dabei wurde das 2019 veröffentlichte Dokument «Gemeinsam am Tisch des Herrn» des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) als wichtiger Beitrag zur Annäherung der Kirchen gewürdigt. Das Votum spricht sich für eine mögliche Teilnahme von Protestanten an der katholischen Eucharistie und von Katholiken am evangelischen Abendmahl aus, ohne dass konfessionelle Unterschiede geleugnet werden. Der Vatikan hatte gegenüber dem Papier theologische Zweifel geäußert.

Der katholische Theologe und Neutestamentler Thomas Söding (Bochum) sagte, Konsens heiße auch, dass man Unterschiede verstehen, einschätzen und gelten lassen kann. Auch der Ökumenische Arbeitskreis sage nicht, dass volle Kirchengemeinschaft und volle Eucharistie- und Abendmahlsgemeinschaft bestehe, sondern „sagt, wir sind auf dem Weg und auf dem Weg kann man weiter gehen, als bislang gegangen worden ist.”

Die Heidelberger Theologin und Systematikerin Friederike Nüssel sprach sich dafür aus, weiter im Gespräch zu bleiben. Man dürfe zudem nicht mit Unverständnis auf Positionen reagieren, die eine Öffnung ablehnen. In den evangelischen Kirchen sind römisch-katholische Christen wie alle Getauften zum Abendmahl eingeladen.

Erzpriester Martinos Petzold von der griechisch-orthodoxen Gemeinde Würzburg verteidigte die Ablehnung einer Abendmahlsgemeinschaft von Seiten der orthodoxen Kirche. Ein allgemeines Mahl aller sei in der orthodoxen Praxis und Tradition nicht vorgesehen.

Klimadiskussion

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach sich gegen ein Vorziehen des deutschen Kohleausstiegs aus. Die von den Beschlüssen betroffenen Menschen bräuchten „schon ein Stück Verlässlichkeit auf dem Weg hin zu Klimaneutralität”, sagte Merkel. Die Kanzlerin betonte, dass der Ausstieg aus der Verstromung von Braunkohle spätestens 2038 erfolgen solle. „Ich möchte nicht nach einem Jahr das jetzt alles wieder aufschnüren”, sagte sie beim vorab aufgezeichneten Podium „Zukunft geht nur gemeinsam: Warum Klimaschutz alle Generationen braucht”. Für die Zukunft sei der europaweit geregelte CO2-Preis entscheidend, der die Wirtschaftlichkeit der Kohleverstromung entscheidend beeinflusse.

Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock verlangte Marktregeln und eine Förderpolitik, die erneuerbaren Energien den Vorrang gibt. Baerbock sagte, derzeit würden fossile Energien mit Milliarden subventioniert, erneuerbare Energien hätten keine Chance. „Der Markt ist bisher ungerecht”, sagte sie bei einer anderen Veranstaltung. Es müsse dafür gesorgt werden, dass Umweltschäden berücksichtigt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende April Teile des deutschen Klimapakets als verfassungswidrig beurteilt, weil es die Hauptlast zur Begrenzung der Erderwärmung vor allem der jüngeren Generation aufbürde. Daraufhin hatte die Bundesregierung am vergangenen Mittwoch ein neues Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht. Demnach soll unter anderem die bislang für 2050 angepeilte Klimaneutralität bereits 2045 erreicht werden. 

Die „Fridays for Future”-Klimaaktivistin Luisa Neubauer sagte bei einer Diskussionsrunde mit der Kanzlerin, die Bundesregierung habe über Jahrzehnte hinweg den Klimaschutz nicht nur verschlafen, sondern ihn blockiert und damit die Klimakrise vorangetrieben. Sie nannte das Urteil des Verfassungsgerichts „großartig”, weil es festgelegt habe, dass alle Generationen gleiche Rechte hätten. 

CDU-Chef Laschet sagte, mit dem Urteil habe das Bundesverfassungsgericht „uns ins Stammbuch geschrieben, dass wir nicht nur im Jetzt leben können”, sondern auch künftige Generationen in den Blick genommen werden müssten. Wichtig sei im Kampf gegen die Erderwärmung die internationale Zusammenarbeit. Ohne Länder wie die USA, Russland, China und Brasilien könne Klimaschutz nicht erfolgreich sein.

Frieden schaffen mit und/oder ohne Waffen

Wo es keine Klimapolitik ohne Rücksicht auf die junge Generation gibt, gibt es auch keine Friedenssicherung ohne Vertrauen – und ohne Nachdenken darüber, ob die Sicherung des Friedens nicht künftig stärker durch zivile Friedenspolitik zu flankieren ist. Dieser Debatte stellte sich der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf dem Ökumenischen Kirchentag. Moderiert durch Minister a.D. Thomas de Maizière, beantwortete er kritische Anfragen der Politikwissenschaftlerinnen Alina Giesen (Marburg), Carolin Hillenbrand (Münster), Elisabeth Kaneza (Postdam) und Maike Awino Rolf (Bonn).

Zivile Friedensarbeit müsse in der Tat noch stärker gefördert werden, sagte Stoltenberg. „Man braucht trotzdem militärische Mittel, um den Frieden zu wahren.” Es gebe Situationen und Zeitpunkte, da sei „Gewalt unvermeidlich”. So sei es richtig gewesen, „Gewalt einzusetzen, um den IS einzudämmen”. 

In der Fragerunde mit den vier Wissenschaftlerinnen wurde deutlich, dass sie sich Friedenssicherung anders vorstellen als der NATO-Generalsekretär. Alina Giesen legte den Fokus darauf, dass die Abwesenheit von Krieg noch keinen Frieden bedeute: „Wir haben den Frieden noch nicht, er ist ein utopisches Ziel.” Zu fragen sei, „welche inneren Konflikte wir in unseren Gesellschaften haben”. Gerade auf einem Kirchentag sei es wichtig, darüber zu diskutieren, „dass auch die Religion politisch ist. Sie kann benutzt werden, um den Frieden zu fördern oder ihn zu bekämpfen”. Carolin Hillenbrand, die zur Rolle der Religion in Friedensprozessen forscht, machte deutlich, dass leitende Persönlichkeiten der Religionen in Friedensprozessen eine wichtige Rolle spielen können.

Elisabeth Kaneza gab zu bedenken, dass auch in westlichen Gesellschaften keine Gleichheit aller hergestellt sei und somit kritisch hinterfragt werden müsse, wie weit es eigentlich her sehr mit den westlichen Menschenrechten. „Wo es Menschen gibt, die aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe, ihrer Heimat, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden, gibt es keine friedliche Gesellschaft.” Und Maike Awino Rolf stellt die These auf: „Zivile Friedensarbeit ist viel erfolgreicher als militärische Maßnahmen.” Sie nannte Beispiele aus der Friedensarbeit von Eirene und der Internationalen Friedensbrigaden. „Das Einzige, was Frieden wirklich sichert, ist Vertrauen.”

 

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